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Der Bildhauer William Henry
Rinehart.
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Eine Skizze von L. P. HENNIGHAUSEN.
Vortrag in der Mai-Versammlung 1907.
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Der Bildhauer William Henry Rinehart.
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William Henry Rinehart steht in erster Reihe als Bildhauer
und Künstler im Staate Maryland. Er stammte von deutschen
Eltern, welche ihren Namen Reinhardt schrieben und eine Farm
in Frederick, jetzt Carroll County, eigneten. Im Jahre 1826
geboren, besuchte er in seiner Kindheit die öffentliche Gemeinde-
schule in dem Landstädtchen Westminster, Carroll County, und
war bis zu seinem 16. Jahre seinem Vater bei der Farmarbeit
behülflich. In der Nähe dieser Farm war ein Marmorstein-
Bruch und wurden Marmorsteine für Bauzwecke bebauen und
versandt. Der Vater kam häufig nach Baltimore mit seinen
Farmprodukten, um dieselben zu verkaufen. Seinem Sohn be-
sagte das Leben auf der Farm nicht und auf seinen dringenden
Wunsch gelang es dem Vater, für ihn in dem Marmorhofe
Baughman and Bevan" an der Nord Howard-Strasse, Balti-
more, Arbeit zu bekommen. Der sechzehnjährige junge Rine-
hart war fleissig, treu und strebsam. Das Marmorgeschäft war
damals in unserer Stadt auf die Herstellung von Grabsteinen,
äussern Haustreppen und hier und da Kamingesimse beschränkt,
und damit auch das Feld der Entwicklung des jungen Mannes.
In seinen freien Standen benutzte er die Bibliothek des Mary-
land Institut und die Zeichnungen, welche dasselbe enthielt.
Von Bildhauerkunst war hier noch nicht die Rede, viel weniger
eine Schule.
Die Wogen der revolutionären Bewegung des Jahres 1848
in Deutschland, hatten mit vielen Andern auch meinen Vetter,
Friedrich Leist, an die Gestade unseres freien Landes geworfen.
Friedrich Leist, in Kassel, Kurhessen, geboren und erzogen,
war zu einem Bildhauer ausgebildet und erfüllte zur Zeit der
Sturm- und Drangperiode, seine Militärpflicht in seiner Vater-
stadt. Ebenso sein College, der Bildhauer Braun, welcher
später als Kapitän in der Unions-Armee, in einer Schlacht in
Virginien, 1862, sein Leben verlor. Beide junge Leute waren
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Demokraten und kamen mit ihren kurfürstlichen Vorgesetzten
in Conflikt. Dr. Kellner, später der langjährige Redakteur des
Philadelphia Demokrat," gab die Zeitung Die Hornisse" in
Kassel heraus, worin er den Kurfürsten unbarmherzig geiselte.
Er wurde als Aufrührer etc. in den festen Kerker geworfen,
aber wie Gottfried Kinkel in Karl Schurz seinen Befreier, so
fand Dr. Kellner seinen Befreier in seiner Schildwache, den
Soldaten Zinn. Dr. Kellner, Zinn, Braun und Leist verschwan-
den aus Kurhessen um ungefähr die gleiche Zeit auf Nimmer-
wiedersehen, und wir Jungen, um den Kurfürsten zu ärgern,
sangen nach der Melodie des kurbessischen Zapfenstreichs das
schöne Lied:
Der Kellner und der Zinn,
Wo sind sie denn wohl hin?
Der Braun und der Leist,
Sind die denn verreist ?
Ich traf Friedrich Leist im Jahre 1855 wieder in Baltimore,
er war Werkführer der Firma Bevan & Sons, welche ein grosses
Marmor-Geschäft betrieben, und behielt diese Stelle nahezu
vierzig Jahre bis zu seinem Tode. Friedrich Leist, der in
Deutschland gebildete Bildhauer und politischer Flüchtling,
nahm grosses Interesse an dem strebsamen Farmersohn Rein-
hart; er gab ihm den ersten praktischen Unterricht im Zeichnen
und Anleitung in der eigentlich höhren Bildhauerkunst. Er
erkannte das grosse Genie, welches in dem jungen Mann lag
und lenkte es auf die richtige Bahn. Der Schüler übertraf bald
seinen Lehrer; mit Feuereifer suchte Reinhart sich nach jeder
Richtung als Künstler auszubilden. Oeffentliche, sowie Privat-
Bibliotheken und Kunstsammlungen dienten ihm, seinen Geist
zu bereichern, Schätze zu sammeln, welche durch sein Talent
und Genie verwertet, herrliche Gestalten aus todtem Gestein
und Metall geschaffen haben. Er hatte das Glück, die Auf-
merksamkeit und Gunst unseres reichen Kunstkenners W. S.
Walters auf sich zu ziehen; durch dessen substantielle Unter-
stützung war er im Stande, im Jahre 1855 nach Florenz, Italien,
zu reisen, wo er bei Künstlern lohnende Arbeit fand. 1857
kehrte er nach Baltimore zurück. Er brachte zwei Basreliefs,
Nacht und Morgen darstellend, Kunstwerk, seiner Hand, mit,
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welche von
einem reichen Bürger unserer Stadt sofort gekauft
wurden. Im Jahre 1858 ging er nach Rom, wo er dann seinen
dauernden Wohnort nahm, aber immer als Bürger unseres
Staates. Er besuchte Baltimore in den Jahren 1866 und 1872,
und starb in Rom am 28. Oktober 1874 an der Schwindsucht.
Auf seinen Wunsch wurde seine Leiche nach Maryland ge-
bracht, wo sein Begräbnis am 2. Januar 1875 in Baltimore
stattfand. S. Teackle Wallis, Wm. S. Waters, John W. McCoy,
B. F. Newcomer, Edwin F. Abell, Edward M. Dowell, Hugh
Sisson, John R. Cox und German B. Hunt, die achtbarsten
Bürger unserer Stadt, waren Bahrtuchträger.
Rinehart hat in seinem kurzen Leben viele Statuen, Büsten,
Monumente und sonstige Kunstwerke verfertigt, besonders be-
rühmt sind: Die Statue Clyte," jetzt im Peabody-Institut;
die grossen Thüren in Bronze am Kapitol in Washington,
welche von Crawford angefangen und auf Wunsch dieses ster-
benden Künstlers, von Rinehart vollendet wurden. Rinehart
arbeitete vier Jahre an der Vollendung und brachte diese
Thüren, welche die Bewunderung eines jeden Besuchers des
Kapitols erregen, unter seiner persönlichen Obhut nach Was-
hington. Berühmt sind ferner seine Statuen: Endymion,"
ein schlafender Knabe; Antigone," die Mondkönigin; zahl-
reiche Büsten etc. Am meisten bekannt ist seine monumentale
sitzende Bronze-Figur des Oberrichters Roger L. Taney des
Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten, welche vor dem
Kapitol in Annapolis, und ein Duplikat, das auf dem Mt.
Vernon-Platz in der Charles-Strasse in unserer Stadt errichtet
ist. Der alte Oberrichter, in einem faltigen Talar gekleidet,
sitzt auf seinem Richtersessel, aufmerksam dem Plaidoyer eines
Rechtsanwalts in einer wichtigen Angelegenheit lauschend.
Seine vorgebeugte Haltung und Gesichtszüge zeigen intensive
Spannung, eine schwierige Frage zu lösen; er scheint taub
gegen all den ihn umtosenden Lärm, nur allein und ganz bei
der zu lösenden, schwebenden Frage.
Der Staat verwilligte zuerst $5000, gab jedoch, nachdem
die Legislatur das Modell gesehen, aus freiem Antriebe, und
trotzdem er sich befriedigt erklärte, dem Künstler weitere
$10,000; nach meiner Ansicht hat die Statue einen noch viel
höhern Wert.
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Rinehart war ein ruhiger, anspruchsloser Mann, mit tiefem
Sinn und festem Charakter. Er starb unverheiratet; in seinem
Testament gab er jedem seiner fünf Brüder ein Legat von
$2000 und den Rest seines Nachlasses zu einer Stiftung zur
Unterstützung unbemittelter junger Männer, welche sich der
Bildhauer-Kunst als Profession widmen.
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